Ziel dieser Arbeit ist es, drei zeitgenössische Romane mit kolonialer und kolonialkriti-scher Thematik zu untersuchen. Vor allem sollen zwei Aspekte in den Vordergrund gerückt werden, die in Timms und Knauss‘ Werke immer wieder zum Vorschein kommen. Die kriti-sche Auseinandersetzung mit der Kolonisierung durch das Deutsche Reich sowie die Ent-wicklung der Protagonisten und ihr wachsendes Bewusstsein gegenüber dem Anderen und ihrem eigenen Land. So wird zum Beispiel in Morenga der ‚Hottentottenaufstand‘ in Deutsch-Südwestafrika dargestellt, deren Kampf von 1904-1907 dauerte. In Der Schlangen-baum geht es auch um den Kampf von unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung. Eine weite-re Parallele liegt in der Entwicklung der Protagonisten der Romane. Sowohl in Morenga als auch in Der Schlangenbaum ist die jeweilige Hauptfigur ein an der Kolonisierung relativ un-beteiligter Mensch, der durch die Auseinandersetzung mit der ihm fremden Welt einen Wand-lungsprozess durchläuft. In Sibylle Knauss‘ Roman Die Missionarin ist die deutsche Koloni-sierung der Karolineninseln in der Südsee zu Beginn des 20. Jahrhunderts zugrunde gelegt. Dorthin wird die Protagonistin Lina, eine ehemalige Krankenschwester, von der Kirche aus als Missionarin hingeschickt. Alle drei Protagonisten haben Schwierigkeiten, sich mit dem Vorgehen ihrer Landsleute in den Kolonien zu identifizieren, und alle öffnen sich mehr und mehr gegenüber der anderen Kultur, was sie in ernsthafte Krisen und schwierige Entschei-dungssituationen bringt.
In einem ersten Themenbereich soll darauf eingegangen werden, wie die letzte kolo-niale Periode des Deutschen Reiches unter Bismarck und Wilhelm II. in den Romanen Mo-renga und Die Missionarin behandelt werden.
Im zweiten Themenbereich soll die Frage erörtert werden, inwieweit die Romane Timms und Knauss‘ in die aktuelle Postkolonialismusdiskussion eingereiht werden können. Jedoch soll auch im postkolonialen Diskurs die Metaebene „Wahrnehmung und Darstellung fremder Kulturen“ komparatistisch untersucht werden. Im Vordergrund dieses Teilaspekts sollen die Protagonisten der Romane stehen, da es ihre jeweilige Entwicklung ist, die im Hin-blick auf den Umgang mit dem Fremden in der postkolonialen Diskussion eine herausragende Rolle spielt. Außerdem soll anhand anderer Theorien aufgezeigt werden, inwiefern textimma-nente Verweise vor allem bei dem Roman Der Schlangenbaum vorherrschen.
Am Ende dieser Arbeit sollte offensichtlich sein, dass beide Autoren den Versuch un-ternehmen trotz der Tatsache, dass sie Europäer sind, der Andersartigkeit in ihren Romanen eine Stimme zu geben. Dadurch kommt es zu einer kritischen Betrachtung des Verhältnisses des Eigenen zum anderen. Es bleibt aber die Frage offen, ob es europäischen Autoren über-
haupt möglich ist, sich gänzlich von einer eurozentrischen Sicht auf das Fremde zu lösen und eine vollkommene Objektivität in der Schilderung eines interkulturellen Verhältnisses zu schaffen.