Der Begriff Wissensgesellschaft wird heutzutage häufig benutzt, um auf die stetig
wachsende Bedeutung von Wissen für den Einzelnen in allen Bereichen zu verweisen.
Durch die zahlreichen Möglichkeiten der Wissenserweiterung und das rasante
Verbreiten von Informationen mithilfe der Neuen Medien können immer mehr
Menschen neues Wissen aufbauen und sich an der Schöpfung und Verbreitung
desselben beteiligen. Der moderne Mensch ist nicht mehr das isolierte Individuum, das
die gängigen Lerntheorien Kognitivismus, Behaviorismus und Konstruktivismus in den
Fokus seiner Überlegungen rückt. Der Konstruktivismus besagt, dass Wissen aus dem
Inneren des Lernenden heraus entsteht, wobei diese Lerntheorie jedoch nicht auf den
rasanten Wandel der Wissenskonstruktion bedingt durch das Lernen im digitalen
Zeitalter eingeht.
An dieser Stelle muss somit auf eine junge Lerntheorie des kanadischen Theoretikers
George Siemens aus dem Jahre 2005 verwiesen werden, die in den letzten Jahren
vermehrt Anklang findet. In seinem Artikel Connectivism: A Learning Theory for the
Digital Age, veröffentlicht im International Journal of Instructional Technology and
Distance Learning macht George Siemens auf die Einschränkungen der vorhin
genannten Theorien aufmerksam und legt den Fokus somit auf den Konnektivismus,
der den Einfluss der Technologie auf Kommunikation, Lernen und das Leben der
Individuen hervorhebt. Die Motivation, Wissen aufzubauen, muss aus dem Menschen
selbst heraus - intrinsisch - entstehen. Durch die Benutzung moderner Medien ergibt
sich für das Individuum also die Möglichkeit, sein eigenes Lernnetzwerk aufzubauen
und sich in seinem Interessensgebiet mit anderen auszutauschen. Die Motivation
hinter Siemens’ Theorie besteht darin, dass es einen beschleunigten Wandel der
Informationstechnologie gibt, das Wissen sich alle zwei bis drei Jahre verdoppelt und
es auf dem klassischen Wege schwierig ist, Aktualitätslücken zu schließen.
Im Gegensatz zu den anderen Theorien, die darauf verweisen, sich möglichst viel
Wissen anzueignen, ist es für Siemens wichtiger zu wissen, wo der Einzelne dieses
Wissen aufrufen kann, wie er inmitten aller Informationen überhaupt finden kann,
wonach er eventuell sucht. Lernen wird also als Prozess gesehen, bei dem
Verbindungen in sozialen und technologischen Netzwerken hergestellt und gepflegt
werden. Dabei verweist er auf die Kernkompetenz für effektives Lernen: die Fähigkeit,
Verbindungen zwischen unterschiedlichen Wissensfeldern und Konzepten zu
erkennen. Der Mensch kann sich also in seinem eigenen Netzwerk weiterentwickeln
und er lernt ständig hinzu, da er der Frage nachgeht, wie ein Netzwerk organisiert ist.
Es findet also ein neues Lernen mit intrinsischer Motivation statt.
Der Grund, weswegen in der vorliegenden Arbeit die Theorie von George Siemens
gewählt wird, besteht darin, dass der gängige Frontalunterricht in den Luxemburger
Schulen heutzutage nicht mehr funktionieren kann, da unser Zielpublikum, nämlich die
jungen Lernenden, andere Interessensgebiete vertreten. Nur wenn der Dozent sich
auf den Umgang mit dem rasanten Ausbreiten von Wissen inmitten eines digitalen
Zeitalters einlässt, kann ein zufriedenstellender, kollektivistischer Unterricht erfolgen.
Diesen Gedanken verfolgt auch der französische Grammatikkurs Projet Voltaire, der
zum Gegenstand dieses travail de candidature gemacht wird. Dieses französische,
onlinebasierte Projekt, setzt den Fokus auf das Erlernen der Orthografie, das dank des
Internets für jeden zugänglich gemacht wird. Es wird mittels der Technik des Ancrage
Mémoriel ein individueller, auf die Fähigkeiten des Einzelnen abgestimmter Kurs
erstellt. Der Lernende bekommt also die Möglichkeit, sich in seinem eigenen Rhythmus
die Regeln der Orthografie mithilfe zahlreicher Lernaufgaben anzueignen. Darin
besteht der Mehrwert dieses Projektes, im Gegensatz zur traditionellen Vermittlung
der Schreibweise von Wörtern im Unterricht.
Im Schulunterricht wird der Dozent mit unterschiedlichen Leistungsniveaus und
heterogenen Lerngruppen konfrontiert und hat oftmals nicht die Zeit, auf jeden Schüler
einzeln einzugehen und dessen Lernrhythmus zu beachten. Deswegen entsteht bei
manchen Schülern häufig Frustration in Bezug auf das Lernen und nicht selten werden
eben diese jungen Leute zu Schulabbrechern. Lernen wird also zu einem Hindernis
und das eigentliche Ziel – nämlich die Wissensvermittlung und -verankerung
desselben – wird verfehlt. Der traditionelle Grammatikunterricht kann auf Dauer nicht
funktionieren und deswegen muss der Frage nachgegangen werden, inwieweit es
möglich ist, Wissen langfristig zu verankern und eine gewisse Motivation aufzubauen.
Der französische Grammatikkurs Projet Voltaire, der per Internet von den Lernenden
absolviert werden kann, wird von einer Arbeitsgruppe aus Luxemburg nun in Deutsch
ausgearbeitet, damit das Projekt im Jahr 2018 auch in Deutsch für die Lernenden
online verfügbar ist. Es trägt den Namen PerfekD und umfasst einen individuellen
Online-Grammatikkurs. Im travail de candidature wird erklärt, wie dieses Projekt
konkret aussieht, der Aufbau des Projektes wird beschrieben und die Technik Ancrage
Mémoriel wird beleuchtet.
Das Ziel meiner Arbeit besteht darin, aufzuzeigen, inwieweit mithilfe des Projektes
PerfekD eine langfristige Wissensverankerung stattfinden kann, welche Vorteile ein
solches Projekt bietet und wie dasselbe in die kollektivistische Didaktik integriert
werden kann. Um dieses Ziel zu konkretisieren, wird eine Verortung des Projektes in
Bezug auf die neuen Felder Neurodidaktik und Konnektivismus anvisiert, der aktuelle
Stand der Forschung wird beleuchtet und am Ende sollen Unterrichtsideen entworfen
werden, wie das Projekt in die Schulstunden integriert werden kann. Eine
abschließende Reflexion der vorliegenden Arbeit befasst sich damit, inwieweit Wissen
durch dieses Projekt gefestigt und verankert werden kann, ob dieses Projekt in ein
modernes Schulsystem hineinpasst, welche Leistungen der Dozent aufbringen muss
und wo die Vorteile und Grenzen liegen.