Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Motiv des Reisens in fiktionalen Werken und arbeitet insbesondere heraus, inwiefern sich die Reisen jugendlicher Protagonisten bestimmter literarischer Epochen unterscheiden beziehungsweise ähneln.
Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Werke „Aus dem Leben eines Taugenichts“ (1826) von Joseph von Eichendorff, „Der Hagestolz“ (1845) von Adalbert Stifter, „Narziss und Goldmund“ (1930) von Hermann Hesse sowie „Nächsten Sommer“ (2010) von Edgar Rai. In all diesen Texten gehen Jugendliche oder junge Erwachsene auf Reisen und erfahren einen Reifeprozess.
Um sich dem Motiv der Reise nähern zu können, gilt es dabei zunächst, die Geschichte und Entwicklung des Reisens über die Jahrhunderte überblicksartig darzulegen und anschließend zu analysieren, welche Rolle das Reisemotiv in den verschiedenen literarischen Epochen spielte und wie es umgesetzt wurde, um der anschließenden vergleichenden Werkanalyse einen literaturhistorischen Bezugsrahmen zu geben. Es ist davon auszugehen, dass gerade die technische Evolution auch zu Veränderungen im Reiseverhalten führte, die sich wiederum in der jeweils zeitgenössischen Literatur wiederfinden lassen.
Im Anschluss an diesen historischen Überblick wird mithilfe eines textorientierten Ansatzes werkimmanent herausgearbeitet und in diachroner Art und Weise analysiert, aus welchen Gründen die Figuren ihre Heimat verlassen, welche Begegnungen und Erfahrungen sie unterwegs erleben, wie sich ihre Reise im Einzelnen gestaltet und inwiefern sie einen Reifeprozess erfahren. Die grundlegende Frage ist also die des Einflusses der Reisen auf die jeweiligen Figuren. Gleichzeitig wird ein kontextorientierter Ansatz verfolgt, der die Texte vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen betrachtet und erlaubt, die jeweiligen fiktionalen Werke mit der geschichtlichen Situation in Verbindung zu setzen.
Bei der anschließenden vergleichenden Werkanalyse lässt sich feststellen, dass sich bestimmte Aspekte der Reisemotivik als überzeitlich erweisen, während andere stark epochengebunden sind. So ergeben sich einerseits die Verkehrsmittel oder die Reiseinfrastruktur in aller Regel aus der jeweiligen Epoche und entsprechen auch in den fiktionalen Werken der Realität der Zeit, während andere Aspekte, allen voran der Reifeprozess des jeweiligen Protagonisten durch die Erfahrungen, die er auf seiner Reise macht, als zeit- und epochenunabhängig gelten können. Die diachrone Analyse der ausgewählten Werke zeigt entsprechend, dass sich die Protagonisten in allen vier Werken unabhängig von den konkreten Einzelaspekten ihrer jeweiligen Reisen allesamt weiterentwickeln und schneller reifen, als wenn sie ihren heimatlichen Alltag nie hinter sich gelassen hätten.